Dienstag, 13. Mai 2008

Nilangtangan



Auf den ersten Blick erscheint das Dorf Nilangtangan im Südosten von Bondoc wie das Paradies: Mitten an einem Werktag dösen die Männer auf der Veranda, die Frauen spielen Bingo oder waschen ihre Kinder im Meer. Selbst die Hunde und Schweine und Katzen liegen so entspannt, als wären sie in einem tiefen, süßen Traum.





Beim Bingo-Spiel




Dunkle Wolken über dem Horizont verheißen nichts Gutes: Bald ist Regenzeit. Bald tobt draußen auf dem Meer der Sturm, und die Fischerboote laufen nicht mehr aus. Bald verlieren die Bauern von Nilangtangan das letzte, was ihnen der Landlord Matias gelassen hat: den Fang aus dem Meer.





Anfang Juli bis Ende August ist Regenzeit in den Philippinen. Dann schließen viele Bewohner von Nilangtangan ihre Hütten und gehen nach Manila: Mit viel Glück finden sie dort Arbeit.






Displaced People“ nennen sich die Menschen von Nilangtangan selbst. Denn im Unterschied zu vielen anderen Kokosnussbauern auf Bondoc können die Leute von Nilangtangan nicht mehr auf ihre Felder: 2005 hat Landbesitzer Matias das ganze Dorf mit Stacheldraht einzäunen lassen.





Wer von der Landseite her ins Dorf will, muss zuerst die Kokosnussplantage durchqueren, die Matias als die Seine beansprucht. „Privateigentum. Betreten verboten“ steht auf dem Tor, hinter dem sich ein ausgetretener Pfad durch Kokospalmen, vorbei an Tümpel für die Wasserbüffel „Carabao“ schlängelt. Vorbei auch an den Hütten der Goons, mal Farmer, mal Schlätertruppen - aber immer im Dienste des Landlords.




Der Eingang zum Dorf ist ein Loch im Zaun des Matias – ein Stück niedergetretener Stacheldraht. Wer in das Dorf will, muss sich bücken und unter dem Zaun hindurch schlüpfen. Das Loch haben die Bewohner von Nilangtangan in den Zaun gerissen. Nun gehen sie trotzig den verbotenen Weg des Matias: die Schulkinder zweimal am Tag, die Erwachsenen, wenn das Meer so aufgewühlt ist, dass die Fischer sich nicht mehr mit ihren Booten hinaustrauen. Ursprünglich trennte der Zaun die Bewohner auch vom Meer: Solange, bis die Menschen von Nilangtangan sich trauten und gemeinsam den Zaun an ihrem Strand entfernt haben.



Das Provinzgericht in San Francisco/Aurora




Die Bauern zahlen einen hohen Preis: Denn es hagelt Anzeigen von Seiten des Landlords. „Legal harassments“ nennen die Bauern diese Art von Schikane: Wenn sie eine Anzeige erhalten, müssen die Bauern mit dem Boot zum Provinzgericht ins eine Stunde entfernte San Franciso/Aurora. Manchmal warten sie dort Stunden, bis sie erfahren, dass das Hearing wieder einmal verschoben wurde. Mit Glück bekommen sie dann das einzige Boot am Nachmittag, das sie wieder zurück bringt nach Nilangtangan.


Acht Anzeigen hat der Farmer und Kagawat (Mitglied im Regionalparlament) Roland Zaňo erhalten. Die meisten Anzeigen lauten auf Betretens privaten Eigentums. Ein paar andere auf qualifizierten Diebstahl: Roland soll dem Landherrn Matias Kokosmüsse gestohlen haben. In den Philippinen steht das Wort “qualifizierter Diebstahl” für ein Vergehen der besonders schweren Art. Kokosnussdiebstahl ist immer eine “qualifiziert” Tat und damit besonders schwerwiegend. Des Kokosnussdiebstahls werden auch Bauern bezichtigt, die sich weigern, die Pacht von 60 Prozent der Ernte an den Landherrn abzugeben – auch dann, wenn klar ist, dass das Land nicht dem Landherrn gehört. Was die Bauern so aufbringt, ist die Tatsache, dass Polizei und Gerichte sofort aktiv werden, wenn der Landlord einen Farmer anzeigt. Wenn umgekehrt ein Bauer von einem Goon bedroht wurde, lassen sie sich meist Zeit.







Roland Zaňo (links) beim Vorbereiten einer Kokosmilch









Am 13. Mai 2008 fuhr das IPON-Team mit Roland Zaňo und weiteren angeklagten Bauern zum Provinzgericht nach San Francisco/Aurora in Bondoc. Angeklagt wegen Betretens fremden Eigentums war auch der MARO, der städtische Beamte, der im Rahmen des Landreformprogramm CARP ein von Matias beanspruchten Stück Land vermessen hat. Um 9.30 morgens war die Anhörung angesetzt. Um 11 Uhr erfuhren die Leute aus Nilangtangan, dass das Hearing auf 3. Juni verschoben sei. Eigentlich sollte die Anhörung bereits am 17. April sein. Aber auch an diesem Tag waren die Angeklagten umsonst angereist. Bei einer solchen Anzeige riskieren die Bauern Gefängnis - außer sie bezahlen eine für sie unverhältnismäßig hohe Kaution.



















Das "Magic Window" im Dorf Nilangtangan: Roland Zanos Fenster ist der einzige Ort, an dem es ein Netz fürs Handy gibt.





Fischerboote am Strand von Nilangtangan.



Die abgehackte Hand: Am 6. Februar 2007 hat ein Goon dem Bauern Heliolito Abrenica (genannt Joly) aus Nilangtangan mit einem Bolo-Buschmesser die linke Hand abgehackt (siehe 2nd Human Rights Report, IPON). Zunächst wurde der Goon des Matias nicht verhaftet. Erst seitdem ein neuer Bürgermeister im Amt ist, sitzt auch der mutmaßliche Täter hinter Schloss und Riegel. Der neue Bürgermeister gilt - im Gegensatz zu seinem Vorgänger - als Freund der Bauern. Die Bauern vermuten, dass der frühere Bürgermeister den mutmaßlichen Täter geschützt hat. Nachdem er diesen Schutz verloren habe, sei er verhaftet worden. Die Kaution für die Freilassung beträgt 800.000 Pesos (60 Pesos = 1 Euro). Offensichtlich ist Landlord Matias nicht willens, diese Kaution zu bezahlen.


Allerdings ist der Täter seit seiner Verhaftung vor drei Monaten noch immer im städtischen Gefängnis von San Francisco/Aurora - statt wie bei Kapitaldelikten vorgesehen, im weitaus sichereren Provinsgefängnis in Lucena. Das IPON-Team begleitete die Bauern von Nilangtangan zur Polizei, wo sie nachfragten, warum der Verhaftete nicht ins andere Gefängnis überführt worden sei. Die Antwort lautete: Es habe kein geeignetes Fahrzeug zur Verfügung gestanden. Aber voraussichtlich noch im Mai werde der mutmaßliche Täter nach Lucena gebracht.